Kunsthandwerker und Aliens
(Zürcher Tages-Anzeiger vom 04.10.2002)

Das Hallenstadion war schon besser besucht. Trotzdem: A-ha, die ätherischen Schwelger aus Norwegen, begeisterten im Konzert.

Es ist schon eigenartig, wie sich ein nur lückenhaft gefüllter Raum auf die darin herrschende Spannung auswirkt. Mittwoch im Hallenstadion: Man wartet auf das norwegische Poptrio A-ha. Ungehindert kann man bis fast vor die Bühne spazieren, vom Seiteneingang kommt kalte Zugluft, Unschlüssigkeit liegt über der Menge. Nicht einmal jahrzehntelang bewährte Crowd Teaser - also Publikums-Erreger - rufen Reaktionen hervor. Über die tafelartigen Bildschirme im Bühnenhintergrund läuft kurz ein bläuliches Flackern?

Interessiert uns nicht. Ein Mann eilt nach vorne, um die E-Gitarre lautstark zu testen? Ja, ja, soll er doch. Die Musik vom Band bricht abrupt ab? Wen kümmerts. Es ist ein wenig so, als stünde man in einem netten Klub und überlege, ob man sich die letzte Band des Abends auch noch ansehen soll.
Dann aber wird plötzlich alles anders. Das Licht geht aus, schemenhafte Gestalten eilen sicheren Schrittes an ihre Plätze, Freude herrscht, Gekreische auch. In dem Moment, als ein Scheinwerfer das puppenhafte Gesicht des Sängers Morten Harket für das Publikum sichtbar macht, kann man Frauen beim ungläubigen, aber begeisterten Kopfschütteln beobachten; und Männer, die sich zur Sicherheit schon mal ganz nahe hinter ihre Liebste stellen.

Morten Harkets Aura ist ungebrochen, genau wie die unweltliche Kraft von A-has melancholischen Tanzpop-Oden. Mit sternenklarer Präzision trifft Harket die Töne, sein "lupenrein ausserirdisches Falsett" ("The Guardian") verlagert das Geschehen ohne jegliche Vorlaufzeit in die eigene Dimension funktionierender Popmusik: Man weiss, dass es nicht stimmen kann, dass es kompletter Unsinn sein muss, aber das hier scheint tatsächlich grösser als das echte Leben.

Behauptungsfreier Raum

"Forever not Yours", der erste Hit der aktuellen CD "Lifelines", eröffnet das Konzert, bis zum Schluss spielen A-ha, die für viele immer noch als Inbegriff der 1980er-Jahre gelten, immerhin acht Lieder aus ihrer neuen Platte. Auch das verrät das Selbstbewusstsein einer Band, die sich auf ihre Konstruktionen verlassen kann. Jeder Ton ist hier wohlgesetzt, komplexe Grooves ("Did Anyone Approach You?") überstehen die Live-Umsetzung ebenso unbeschadet wie anspruchsvolle Akkordfolgen ("Hunting High And Low"). Es gereicht nicht allen Musikern dieser Erde zum Vorteil, wenn sie ihre Ideen unausgesetzt mit formaler Strenge ordnen wollen. A-ha jedoch entdecken gerade in dieser absoluten Künstlichkeit das Potential hemmungslosen Schwelgens. Auf ungreifbare Weise wirken sämtliche Lieder wie Auseinandersetzungen mit dem Schicksal, man meint, ständig mit tränenverschleiertem Blick in einen stark, aber attraktiv bewölkten, kontrastreichen Schwarzweißhimmel zu starren.

Selbst in hundertprozentigen Schnulzen wie "Turn The Lights Down" hat Authentizitätsgekrampfe keinen Platz, denn um "echt sein" geht es gar nicht. Stattdessen huldigt man mit edlem Handwerk dem Träumerischen und Unerfüllbaren. Popmusik als weit gehend behauptungsfreier Raum: eine Wohltat.

Dank an Silvia

Zurück