Ehrliche Romantik für eine
unromantische Welt
(Stuttgarter Zeitung vom 02.12.2000)
Die norwegische Popgruppe A-ha gastiert
mit ihrem neuen Album Minor Earth - Major Sky in der
Schleyerhalle
Wer mal einen Lederbändel ums
Handgelenk getragen hat (in ganz, ganz jungen Jahren
vielleicht), der weiß, was Morten Harket in den
achtziger Jahren hat mitmachen müssen. Geht man damit
erst ins Meer und dann in die Sonne, dann werden die
Dinger porös. Und werden sie nicht porös, dann werden
sie speckig. Wer wie Harket, der damals schon
A-ha-Sänger war, ein ganzes Musterköfferchen von
Lederbändeln ums gereckte Gelenk geschwungen hat, den
treibt tags und nachts eine hochkomplexe
Instandhaltungsproblematik um. Oder er schneidet die
Dinger irgendwann ab.
Wir schreiben das Jahr 2000, und von den
Formationen, die vor fünfzehn Jahren ihre Hits von A-ha
auf den Sommerhit-, Winterhit- oder
Frühlingshitsammlungen des Teeniepops pressen durften,
redet niemand mehr. Von A-ha spricht man umso mehr, haben
die drei Norweger mit den vielen Gastmusikern doch gerade
eines der besten Popalben des Jahres veröffentlicht.
"Minor Earth - Major Sky" heißt es, so wie das
erste Lied, das Morten Harket in der Schleyerhalle singt.
Der wirkt nicht deshalb so nackt, weil er sein Hemd bis
zum Bauchnabel aufgeknöpft hat, sondern weil er am
Unterarm keine Bänder mehr spazieren trägt. Er hat sie
abgeschnitten. Eine höchst symbolhafte Handlung
natürlich. Wie alles im Pop.
Oder grad wieder nicht. Denn in den
ersten Liedern ihres Konzerts versuchen Magne Furuholmen
und Paul Waaktaar-Savoy (Keyboard und Gitarre) und eben
jener Morten Harket musikalisch zu wuchern, ohne vom
Kapital der Band zu zehren. Als da wären: umwerfende
Harmonien, unwiderstehliche Refrains und Harkets
phänomenale Stimme. Die ersten Lieder in der
Schleyerhalle, die schwächeren der neuen CD, plätschern
aber nur vor sich hin. Ordentliche Popmusik, keine Frage.
Verschmitzte Romantik auch im Übermaß, weil halt der
Morten auch ohne Bändchen immer der Morten bleibt.
Erholung satt fürs Ohr. Aber kein Rucksackpacken, kein
Aufbruch, wo doch A-ha immer mehr Aufbruch als Ankommen
war.
Aber dann: In der Mitte des Konzerts,
bei "Stay on these Roads", bricht der Morten
mit der Hintergrundsängerin alle Zelte ab und endlich
auf. Einnehmender kriegt kein Andrew Lloyd Webber seine
Refrains hin, als dies A-ha bei diesem Lied gelungen ist.
Und wo bei Lloyd Webber das Gefühlsplastik böse piekst,
da vermengt es sich bei A-ha gemeinsam mit den
unvermeidlichen Synthie-Salven zum Inbegriff eines sehr
modernen Sehnens. Traumland ist nicht Tahiti. Sondern aus
Polyacryl und einfach wunderschön. Und das erste
Geheimnis von A-ha liegt darin, dass die drei
Bandmitglieder, auch wenn sie nur schrammelnd
nebeneinander stehen, wenn Morten summt und die
Hintergrundsängerin tief im Hintergrund versenkt tanzt,
dieses Sehnen glaubhaft zum Triumph erklären. Selten war
Romantik so schön. Und zwölf Jahre später, in einer
ziemlich unromantischen Welt, ist sie noch schöner. So
alt schon ist "Stay on these Roads". Neu sind
"You'll never get over me", das Lied mit der
Schrammelpassage, und das unaufdringlich-geniale Lied
"Velvet". In letzterem hat die Sängerin die
beglückende Rolle, die ganze Komplexität eines nicht
synthetischen Daseins in ein einziges Wort zu packen.
"La" heißt's, "Lalalalala", und es
klingt ganz wunderbar, wenn Kompliziertes so einfach
funktioniert.
Es funktioniert auch in "Summer moved
on", einem anderen grandiosen Song der neuen CD. Ein
paar picksüße Streichertöne (echt auf CD, aber
natürlich in der Schleyerhalle vom Keyboard) an der
richtigen Stelle genügen da, um die Auferstehung einer
eigentlich schon überlebten Band in Szene zu setzen. Und
das zweite Geheimnis von A-ha liegt darin, dass die Band
immer die richtigen Stellen findet und nie die falschen.
Wenn Perfektion im Spiel ist, lauert
immer das Sterile. Vielleicht ist das dritte, das
eigentliche Geheimnis von A-ha, dass es bei dieser Band
ewig lauern, aber nie zuschlagen darf. Wenn das Traumland
aus Polyacryl gebacken wurde, sind Plastikraumschiffchen
genau das richtige Transportmittel dorthin. Und nirgends
flutschen die so betörend wie in den drei großen Hits
der Gruppe. In "The Sun always shines on TV",
in "Hunting high and low", vor allem aber in
"Take on me", flutscht es am allerschönsten.
Die Halle tobt. Die Synthies jubilieren. Und Morten
Harket beamt sich, dem Tarzan gar nicht unähnlich, aber
halt modern, behänd von Oktave zu Oktave. In
Lederbändern, das weiß er längst, hätte er sich
vielleicht verfangen.
Vielen Dank an Marion für die Zusendung
des Artikels
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