Mr. Harkets Gespür für Pop (Stereoplay Ausgabe 5/2000)

Als Morten Harket, Pål Waaktaar und Magne Furuholmen alias A-ha im Herbst 1985 gleich mit ihrer ersten Single "Take On Me" einen Welthit landeten, war dies der Beginn eines einzigen Missverständnisses. Als fraglos hübsch anzuschauende Twens zogen die drei freundlich-introvertierten Norweger weibliche Teenager unter 18 Jahren geradezu magisch an - was natürlich dazu führte, dass ältere Semester die vermeintliche Teenieband mieden wie ein Veganer den Besuch im Steakhouse. Schade, denn auf allen ihrer insgesamt fünf Studioalben bewiesen A-ha eindrucksvoll, dass ihre Musik alles andere als banale Hit-Schonkost für pubertierende Backfische war. In dramatischen Kompositionen voll wahrhaft großer Melodien wandelte das Trio aus dem Hohen Norden stilvoll auf den Spuren von großen Melancholikern der Popgeschichte und schrieb Klassiker des 80er-Jahre-Pops wie "Hunting High And Low", "I Call Your Name" oder "Stay On These Roads" - Songs allesamt, für die sich zwei Jahrzehnte früher auch Bands wie die Beatles nicht schämen müssten.
Die "seriösen" Kreise der Popszene sahen das freilich leider anders, und so warfen A-ha 1993 frustiert das Handtuch: Millionenschwer zwar, aber eben mit dem Etikett der "Teeniestars" behaftet. "Oder besser gesagt: Wir haben dieses Projekt auf Eis gelegt, damit wir in den letzten sieben Jahren ein paar andere Sachen machen konnten", schmunzelt im Frühjahr 2000 ein sichtlich aufgeräumter Pål Waaktaar. Gitarrist Waaktaar etwa gründete mit seiner Frau Helen die Band Savoy (benannt nach deren Nachnamen), mit der er drei so hübsche wie weitgehend erfolglose Alben einspielte. Keyboarder Magne Furuholmen wandte sich der Malerei zu und brachte es zu einem durchaus respektierten Vertreter dieser Zunft mit Ausstellungen von Peking bis Paris. Und Sänger Morten Harket ließ sich nach dem ebenfalls recht mäßigen Erfolg seines Soloalbums "Wild Seed" (1995) "einfach mal so treiben. Ich machte eine Menge Reisen rund um die Welt, habe es mir gut gehen lassen und meinen Horizont erweitert".
A-ha allerdings ging keinem der drei "dicken Freunde", wie Harket das Verhältnis der Bandmitglieder untereinander beschreibt, je aus dem Kopf. "Nicht umsonst haben wir diese Gruppe niemals aufgelöst", sagt der nach wie vor ziemlich gut aussehende A-ha Frontman, der im vergangenen September seinen 40. Geburtstag feiern durfte. Grundstein für die Reunion der Teenie-Helden wider Willen von einst war 1998 die Einladung, anlässlich der Friedensnobelpreis-Feier in ihrer Heimatstadt Oslo aufzutreten. "Wir alle waren überrascht, wie leicht es uns fiel, wieder zusammen aufzutreten", erinnert sich Pål, "es war der pure Spaß."

Kein Wunder, dass sich die drei daraufhin Anfang 1999 (in New York) an einen Tisch setzten, um über die Zukunft von A-ha zu sprechen. Gut ein Jahr später erscheint dieser Tage das Ergebnis ihrer Wiedervereinigung: Das (die 1991er Hit Compilation "Headlines And Deadlines" nicht eingerechnet) sechste Album "Minor Earth, Major Sky". Die siebenjährige Pause seit dem 93er Werk "Memorial Beach" ist der Scheibe kaum anzumerken. Nach wie vor herrscht im A-ha Mikrokosmos das Prinzip der "schönen Melancholie" voll herrlich-simpler Melodien, zeitlos arrangiert zwischen Ergriffenheit und Sehnsucht. Gleichzeitig zerstören selbst die in tieftraurigste Moll-Töne getauchten Balladen niemals die Hoffnung auf eine bessere Welt - im Gegenteil, sie bereiten den Hörer darauf vor. Morten Harket stimmt dieser Sicht der Dinge zu. "Es gibt vieles im Leben, das unerklärlich ist. Als Ausgleich für so viel Verwirrendes aber kann ich Musik schreiben. Und dann gibt es unsere Hörer, die dieselben Fragen und Ängste in sich tragen wie wir. Unsere Songs liefern zwar keine Antworten, dafür aber - hoffentlich - Geborgenheit. Aus diesem Grund komponieren wir Musik."
Auch für Keyboarder Magne Furuholmen sind die getragenen, wehmütigen Sounds der Band eine Herzensangelegenheit. "Selbst wenn wir einen fröhlichen Song schreiben wollen, klingt er letztendlich immer etwas traurig. Nun, wir sind alle drei sehr nachdenkliche, verträumte Menschen. Das ist eben unser Stil." Nicht ganz der Stil von A-ha waren bisher jene eher einfallslosen Dance-Beats, mit denen der deutsche Produzent Roland Spremberg rund die Hälfte der 13 neuen Titel anreicherte. "In den letzten Jahren haben wir sehr viel Dance-Musik gehört", gibt Magne zu, "das hat sicher Einfluss auf die Produktion gehabt." Schade, denn Kompositionen wie "Velvet" oder die wundervoll pompöse Single "Summer Moved On" sind so gut, dass sie es nicht nötig hätten, mit neuen Klänge zu kokettieren. Und wenn Sänger Morten Harket unnachahmlich schmeichlerisch wie eh und je croont, dann sind A-ha jene Band, die auch die über 18-Jährigen endlich lieben sollten: Drei Pop-Ritter von der herrlich-traurigen Gestalt, immer auf der Suche nach dem Gral des perfekten Songs. Und manches Mal, so scheint's, halten sie ihn tatsächlich in Händen.

Sunnyboys mit Schatten auf den Seelen: Mit ihren melancholischen Edelpopm einem Soundtrack über "die Traurigkeit und das scharlachrote Zwielicht des skandinavischen Winters" sozusagen, fanden A-ha sogar bei den Chef-Zynikern des britischen "New Musical Express" Gnade. Nach sieben Jahren Pause glänzen Morten Harket (links), Pål Waaktaar (Mitte) und Magne Furuholmen (rechts) nun wieder mit ihrem nordischen Gespür für romatische Stimmungen in Moll.

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