Take on me (Junge Welt vom 19.09.2002)
Lernen, Lieben, Leiden: A-ha in der Leipziger Arena
In letzter Zeit wieder viel an 1988 gedacht. Damals war ich mit
Timo Marquardt, der mich immer Specki nannte, und einem, den alle
Ratte nannten, beim Konzert von A-ha in der Alsterdorfer Sporthalle.
Des weiteren dachte ich daran, wie ich Mitte der neunziger Jahre im
Auseinander über das Gefühl des Zuspätkommens gelesen hatte, daß
es ein unwiederbringlicher Verlust sei, die Teenager-Zeit mit Bands
wie Duran Duran (und A-ha, ergänzte ich im Geiste) vergeudet zu
haben, während einige an der Schule schon The Smiths hörten.
Jegliches mühsam nachträglich angeeignete Verständnis ersetzte nie
das Gefühl, sich an der Schule schon als Außenseiter zwar aber auch
als Wissender zu fühlen - und die Popper zu verachten. Von alldem
bekam ich damals, behütet in meinem Vorort an der Peripherie einer
Großstadt, nichts mit. Und reagierte trotzdem mit Weltflucht. "They
say the world's an eventful place/You give me news/ I don't want to
know«. Auf »Scoundrel Days« der zweiten Platte von A-ha waren im
Gegensatz zur ersten wenigstens die Texte abgedruckt, die ich mir mühsam
übersetzte. Aber egal, ich bekam die zweite sowieso vor der ersten zu
Weihnachten geschenkt. Ich mußte sie mir gewünscht haben, zufällig
schenkte mir meine Mutter nie etwas. Ich kann mich nicht erinnern, wie
ich von A-ha erfuhr, denn mir war es sogar gelungen, »Take on me« zu
verpassen. Die, die in der Klasse wußten, was in der Bravo steht,
redeten nicht mit mir. Und daß es die Bravo überhaupt gibt, erfuhr
ich erst viel später, nachdem ich A-ha kennengelernt hatte. Ich ging
als Teenager früh zu Bett und schlief viel. Die Erinnerung setzt erst
wieder ungefähr 1988 ein.
Wie also wäre es, vierzehn Jahre später noch einmal A-ha zu
sehen? Würde sich eine Art Kreis schließen? Würde man wieder am
Anfang angekommen sein oder einer Wendeltreppe gleich am selben Punkt
eine Stufe höher stehen können?
Am Sonntag eröffneten A-ha ihre Reihe von Deutschland-Konzerten.
Und ich bemerkte: Wir haben beide gelernt, A-ha und ich. Ließen die
wenigen Alben aus den Neunzigern eigentlich schon deutlich werden, daß
die Band nie nicht bloß einem Achtziger-Retro, das immer nur angekündigt
wurde, aber nie wirklich stattfand, zum Opfer fallen wird, gelang A-ha
mit den letzten zwei Platten endgültig ein Sound-Konzept, das
Unsterblichkeit erlangen wird, wenn auch eventuell unbemerkt von
Pop-Chroniken und vom Diskurs. Und live gelang ihnen eine Souveränität,
die über jedem Diskurs steht, der seit den Achtzigern über die
Achtziger geführt wurde, und darüber, wie Bands heute überhaupt
noch klingen dürfen.
Es war ein eher ernsthaftes Konzert, mit einer bemerkenswerten
Mischung aus Konzentration und Lässigkeit. Morten Harket, Magne
Furuholmen und Pal Waaktaar agierten zurückhaltend und verschwanden
fast in ihren Songs. Es war keine Rock-Show, und es war kein Auftritt
gealterter Teenie-Stars, die noch mal ihre alten Hits covern. Sehr
viele Stücke kamen vom aktuellen Album »Lifelines«, wenige vom Vorgänger,
dem Überraschungscomeback, einige frühere Chart-Erfolge wurden natürlich
gespielt, das eigentliche Zentrum aber der Songs, die A-ha auch jetzt
noch aus den Achtzigern spielen, sind die vom zweiten Album. Dem
Meisterwerk, das natürlich keine Chance hatte, in irgendeiner Liste
der hundert besten Platten der hundert letzten Jahre aufzutauchen. Das
wird die Band selbst am allerwenigsten stören: »They forgive
everything but greatness/These are scoundrel days«.
Die Norweger haben im Grunde immer schon Weltflucht betrieben,
sich in Träume geflüchtet (»I dream myself alive«) oder sind
unruhig aus dem Schlaf erwacht (»I lift my head up from uneasy
pillows«). Immer dreht es sich um Schlaf oder seine Schwundstufe: »You
probably asleep already/ I am wide awake«, »'Sleep' you wrote, 'sleep,
my dear«, usw. Wenn man immer schläft oder mit nichts anderem seine
Zeit verbringt als damit, müde zu sein, ergibt sich natürlich ein
Problem: »It must be getting late«. Es wird spät und das, was
passiert, passiert immer woanders. Dann kommen immer wieder die »losing
you«-, »missing you«-, »never again«-Geschichten. Das hört man
solange, bis einem irgendwann auffällt, das im Klassenzimmer etwas
passiert, das man nicht versteht: »There's a worldful out there / of
people I fear«.
Immerhin, ich fand Kontakt zu Timo Marquardt und Ratte, die hörten
auch A-ha. Wir waren eine Zweckgemeinschaft, als wir 1988 ein Konzert
zur »Stay on these roads«-Tour besuchten. Schon am frühen
Nachmittag waren wir da, um uns gute Plätze zu sichern. Wir waren so
ziemlich die einzigen Jungs. Und die Mädchen, die da waren, konnte
man nicht wirklich kennenlernen. Solange man noch auf den großen
Auftritt gemeinsam wartete, unterhielt man sich, doch kaum betraten A-ha
die Bühne, boxten uns die Mädchen in die Rippen und schoben uns zur
Seite, um weiter nach vorne zu kommen. Timo verlor dabei fast seine
Brille; wir waren alle drei Brillenträger. Damals hatte man über Mädchen
alles gelernt, was man später wissen mußte. Wir hatten das Kunststück
geschafft, selbst im Mainstream Außenseiter zu sein. 2002 hat niemand
mehr geschubst. Und während ich A-ha zuhörte, wußte ich, daß ich
keine Zeit verschlafen hatte, indem ich früher nie etwas von The
Smiths oder sonstwem gehört hatte. Wenn einen heute immer noch das
Gefühl beschleicht, etwas zu verschlafen, singen A-ha auf der neuen
Platte: »Turn the light out, when the light is too strong«.
* Tour: heute, Nürnberg; 21.9.Halle/Westfalen, , 22.9. Hannover;
23.9. Köln; 25.9. Oberhausen; 27.9. Bremen; 28.9. Berlin; 29.9.
Hamburg, 1.10. Frankfurt/Main
Dank an Mechthild
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