Glücklich ist, wer vergisst (Die Welt vom 11.05.2002)

Die zweite Karriere der Norweger A-ha als Popband für Erwachsene

Seit Jahren wird behauptet, dass ein Rückbesinnen auf die achtziger Jahre wünschenswert und fällig wäre. Als Beweis erscheinen Kinofilme, wo die Menschen breite, farbenfrohe Sakkos tragen. Es gibt Fernsehshows, in denen Pierre Littbarski mit dem Zauberwürfel spielt oder Samantha Fox vergnügt erschaudert, wenn sie sich auf alten Fotos sieht mit Rüschenrock und Dauerwelle. Platten von vergessenen Veteranen gibt es selbstverständlich auch. Allein von Falco stammt der Satz: Wer sich an das Jahrzehnt der Achtziger erinnern könne, habe es nicht selbst erlebt. Das heißt, was im Gedächtnis bleibt, hat mit Geschichte nichts zu tun.

Wir treffen Morten Harket, Paul Waaktaar und Magne Furuholmen eines Abends in Berlin. Sie bildeten die Band A-ha. Sie prägten das Jahrzehnt der Achtziger. Sie traten ab, als die Epoche ausgeklungen war und kehrten vor zwei Jahren wieder, als die Nostalgie zum Massenphänomen gewachsen schien. Doch Paul Waaktaar erklärt: "Diese Revivals sind das grässlichste, was die Kultur der Gegenwart zu bieten hat. Und vollkommen geschmacklos ist die Renaissance der Achtziger".

Nun böten sich auch einige der neuen Stücke von A-ha für einen Einsatz auf den einschlägigen Partys an. Wir fragen Paul Waaktaar, ob er uns schlüge, wenn wir das so schrieben. Paul Waaktaar sagt, dass das durchaus möglich wäre: A-ha II habe mit A-ha I nur sehr bedingt zu tun.

Sie nennen "Lifelines" ihre zweite Platte. Nach ihrer erneuten Gründung, nach ihrem Comeback-Album "Minor Earth Major Sky". Sie sind jetzt um die 40, "Lifelines" ist ein angemessener Titel. Und den deutschen Medien stellen sie die Platte in der norwegischen Botschaft vor. Ihr Land ist stolz auf seine größten Stars, die weltweit noch berühmter sind als alle Wintersportler oder die Prinzessin Mette-Marit. Furuholmen, Harket und Waaktaar stehen im Treppenhaus der Botschaft, essen Hackfleischbällchen, während wir in einem Festsaal ihre neuen Lieder hören. Hymnenhafte Popsongs, die von aufwändiger Studioarbeit künden. Es sind Songs gegen den großen Irrtum aus den Achtzigern, A-ha sei eine Gruppe süßer Jungs für Mädchen, die mit deren Bildern ihre Pferdeposter überklebten. Eine Boy Group wider Willen.

Denn in Wahrheit war es so: Die Freunde Furuholmen und Waaktaar gründen in Asker, einem Vorort Oslos, Schülerbands. Morten Harket stößt hinzu, weil er beachtlich singen kann. Sie nennen sich A-ha, das hört sich international an. Um Stars zu werden gehen sie nach London, suchen Inserate ab nach Produzenten, nehmen ihre erste Nummer "Lesson One" mit Blechbüchsen und Mietgitarren auf Kassetten auf. Tatsächlich findet sich eine große Plattenfirma. Dort wird aus "Lesson One" 1985 der Welthit "Take On Me". Und Alan Tarney, der schon für Cliff Richard einen teeniekompatiblen Sound entworfen hatte, wird damit betraut, A-ha zu produzieren. In Konzerten schreien Mädchen, bis sie niedersinken. Dass A-ha die Stücke selber schreiben, dass sie eigenhändig musizieren, scheint schwer vorstellbar. Dass sie ihre Garderobe und ihre Frisuren selbst auswählen, ist aus heutiger Betrachtung alter Fotos kaum zu glauben.

"Wir taten wirklich alles selbst", sagt Morten Harket, und noch immer schüttelt er betrübt den Kopf. Auch Paul Waaktaar erinnert sich: "Unsere Rolle bestand darin, in Teenagerträumen aufzutreten. Die Fans dachten, uns hätte eine Firma zusammengestellt. Aber wir waren eine Band, die Musik spielte, weil sie Joy Division liebte". In der Folge wurden ihre Platten immer trauriger. Die letzten Lieder zu Beginn der Neunziger trugen Titel wie "Dark Is The Night For All". Aber da hörte kaum jemand ernsthaft hin.

Nun sitzen sie für Interviews zwei Tage im Hotel Kempinski in Berlin. Die Journalisten gehen ein und aus, Waaktaar ist blass und müde, Harket schmerzt der Rücken. Furuholmen kann nicht mehr, er greift sich die Gitarre und singt selbstvergessen vor sich hin. "Work rushed me / Fame brushed me / The streets hushed me / As life touched me". Vielleicht traut A-ha der Welt nie mehr zu, dass sie allein an deren Songs erkennt, was das für eine einzigartige und ausgewachsene Popband ist. Und so erzählen sie ihre Geschichte, die ganz anders ist, als sie ein Zeitzeuge im Gedächtnis trägt.

Vor allem Paul Waaktaar wirft Namen in den Raum, die für das Album "Lifelines" Pate standen. Brian Wilson, Paul McCartney und Phil Spector. Auf der Platte kündet Morten Harket mit erhabener Stimme von den großen Themen Liebe, Scheitern, Hoffnung. Reich sind diese Songs mit allen Arten von Gitarren, Keyboards und Effekten orchestriert. Das große Ganze ist zu hören, von der Sozialisation im Sound der Sechziger und Siebziger, über den mitgeprägten Pathos-Pop bis hin zur technophilen Gegenwart. Das sind keine Revivals. Das sind Lebenslinien.

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