Traurig sind sie sowieso (Die Welt vom 27.11.2000)

Aber die Macht der Gefühle lässt niemanden kalt: Das norwegische Trio A-ha arbeitet am Generationenbegriff.

Vielleicht hörten die siebziger Jahre in Deutschland endgültig auf, als Helmut Kohl Bundeskanzler wurde. Genau nachprüfbar ist das nicht; man war zu jung und historisch zu wenig interessiert, als dass man darauf geachtet hätte, ob die Schlaghose zu diesem Zeitpunkt ausgestorben war. Ein paar Jahre später aber wusste man, was zählte. Hosen hatten in Karottenform zu sein, die Ärmel des Jacketts mussten hochgekrempelt werden, der Nacken war ausrasiert und eine Tolle behinderte das Blickfeld. Popper, Punk, Gruftie oder Müsli: Sag mir, wo du stehst.

Die Fans von A-ha hatten sich entschieden, Popper oder Mädchen zu sein. Das war gut so, denn die Musik der drei Norweger wollte nicht böse sein oder vergrübelt umweltbewusst. Sie war nur schön und traurig, genau so wie der Sänger Morten Harket, dem das dunkelblonde Haupthaar im Angedenken an James Dean in die Stirn fiel und den die Jungs beneideten. Weil er ins Schlafzimmer der Mädchen durfte, über das Kopfende des Bettes, wo er so versonnen trübselig von Postern blickte.

A-ha personifizierte in vielem die achtziger Jahre. Das Pathos. Die Videos. Die Keyboards. Der große Durchbruch von "Take On Me" erfolgte erst, als sich die Plattenfirma des Trios entschied, 100 000 Dollar in einen Clip zu investieren. Morten, der Traurig-Zarte, erlebte da als Zeichentrickfigur Abenteuer mit einer schönen Unbekannten. So was hatte man in der Sendung "Formel 1" noch nie gesehen. Und dann noch dieser irrwitzige Refrain, der ganz tief anfing und ganz hoch aufhörte. Das beeindruckte auch die Jungs. Wenn die Eltern viel Geld hatten, dann bekamen die männlichen A-ha-Fans von ihnen einen Yamaha DX 7 geschenkt. Dieses tolle Keyboard hatte in etwa die gleichen synthetischen Streichersounds gespeichert wie die Maschinen der Norweger; und die geklimperte Ohrwurm-Melodie von "Take On Me" ließ sich täuschend echt nachempfinden. Das mochten wiederum die Mädchen. Es war einfach eine liebe Zeit, damals.

Im Berliner Velodrom, einer riesigen Radsporthalle, in der die SPD vor ihrem letzten Wahlsieg die Abschlusskundgebung feierte, stehen fünf Keyboards auf der Bühne. Ein Techniker probiert an einem der Geräte herum, heraus kommt ein bombastischer Streichersound. So klangen die Achtziger. Aber die Menschen in der vollen Halle haben mit dieser Dekade, die im Rückblick als die uncoolste des 20. Jahrhunderts gilt, eigentlich abgeschlossen.

Diese Leute befinden sich in einer kritischen Altersphase. So um die 30 sind sie; zu jung, um die Stones für die Krönung der Popularmusik zu halten, zu alt, um von den Demoskopen noch der Jugend zugerechnet zu werden. Das wollen manche nicht wahrhaben. Sie tragen Sneakers oder einen Cowboyhut, ihre Haare haben sie nach Erkenntnissen der zeitgenössischen Frisierkunst dezent an die Schopfmode der Sechziger und Siebziger angepasst. Wenige sind ganz in Schwarz gekommen mit Kajalstrich um die Augen und asymmetrisch rasiertem Haupthaar (was zeigt, dass sich die Alt-Waver mit wirklich allem solidarisieren, was aus den Achtzigern kommt - damals hätten sie nie und nimmer ein A-ha-Konzert besucht).

Das Gros im Velodrom aber bleibt unauffällig, wie es eben jene sind, die einen Babysitter für einen Abend bestellen müssen, jene, denen erst vor kurzem die Bedrohungen von Orangenhaut, Beitragszahlungen für die Rentenkasse und kreisrundem Haarausfall bewusst geworden sind.

Sie alle erleben an diesem Abend ein Wunder. Die glorreiche Wiederauferstehung einer Band. A-ha hat es geschafft mit der Platte "Minor Earth, Major Sky", der ersten Einspielung des Trios nach sieben Jahren Funkstille, platingekrönt, radiorotierend, und von Leuten, die was davon verstehen, als eine der besten Tonträger dieses Jahres proklamiert.

Was aber ist plötzlich so neu an A-ha, dass die Stücke des Trios wieder zu Hits werden? Nichts. Denn Morten trägt die Haare immer noch so wie früher, hat sein schwarzes Hemd ganz weit aufgeknöpft und singt wie eh und je. Mit vibrierendem Pathos in der eigenwilligen Kopfstimme, düsterem Herbst im Herzen und Liebestrauer wie Tonnengewichte auf der kleinen Seele. Und die Keyboards klingen - gerade bei den frühen Stücken - auch noch so altbewährt fies wie vom DX 7. Doch A-ha gibt den Leuten etwas zurück, was die Neunziger in Sampler versteckten und mit ausgefuchsten Rhythmusprogrammen übertünchten: den guten alten Song und die Macht des Gefühls. Vielleicht ist auch die neue Ernsthaftigkeit im Jahr 2000 Schuld, die der polternden Ironie überdrüssig geworden ist.

Vor der Zugabe singt Morten Harket das anrührendste Verzweiflungsstück seiner Band. "Hunting High And Low", eine Ballade, die von der schmerzlichen Suche nach der Ewigschönen handelt. Und die Ewigschöne, das ist diese zu Herzen gehende Melodie, die man so lange verdrängt hatte. Alle, wirklich alle, singen mit. Weil die Zeit, als Helmut Kohl Bundeskanzler war, auch schön war. Weil Nostalgie, die man zum ersten Mal im Leben verspürt, die Seele waidwund macht.

Zurück